Soziales Elend und Überfischung in Thunfisch-Dosen europäischer Supermärkte

Ein von der NGO Finnwatch Anfang Juni 2015 veröffentlichter Bericht zeigt die sozialen und ökologischen Missstände bei der Herstellung von Thunfisch auf, der bei uns in Dosen in Supermärkten verkauft wird. Unter anderem herrschen in thailändischen Fabriken, in denen Dosen-Thunfisch für heimische Supermarktketten verpackt wird, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen. Der Bericht ist Teil des europaweiten Supply Cha!nge-Projekts von Südwind und GLOBAL 2000.

Menge des gefangenen Thunfisches seit 1950 verzwölffacht

Es ist bekannt, dass Thunfische eine der am meisten überfischten Fisch-Familien sind. Die Zahlen erschrecken jedoch trotzdem: Wurden 1950 weltweit an die 400.000 Tonnen Thunfisch gefangen, so waren es laut FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) im Jahr 2012 schon fast fünf Millionen Tonnen – die Menge hat sich mehr als verzwölffacht (siehe Grafik zur Entwicklung).

Die meisten der neun als Thunfisch gehandelten Arten sind aufgrund von Überfischung schon stark dezimiert – einige, wie der Blauflossen-Thunfisch, sogar fast ausgestorben. „KonsumentInnen sollten daher – wenn sie nicht ganz auf Thunfisch verzichten möchten – beim Einkauf darauf achten, nur Thunfisch der Skipjack-Art zu kaufen, der mit Rute und Haken in bestimmten Gebieten gefangen wurde“, erklärt Martin Wildenberg, Projektleiter Supply Cha!nge bei der österreichischen Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000. „Andere Fangmethoden als diese verursachen massenweise den unnötigen, qualvollen Tod anderer Meerestiere – wie Delfinen, Schildkröten, Meeresvögeln oder Haien. Aber auch die Fangmethode mit Rute und Haken hat ihre Nachteile – es werden riesige Mengen an Köderfischen benötigt und die Fangmethode verbraucht im Vergleich mehr Treibstoff. "Delfin-freundliche" Labels sind hingegen meist Eigenkreationen der Industrie, werden nicht unabhängig kontrolliert und sagen oft nichts aus.“

Die derzeit für den Skipjack-Thunfisch noch unproblematischen Fanggebiete sind Western & Central Pacific - WCPO (FAO 61,71,77), Eastern Pacific - EPO (FAO 77,87,81) und Indian Ocean (FAO 51,57). „Steigt unsere Nachfrage nach Thunfisch weiter wie bisher“, so Wildenberg, „werden aber auch diese Fanggebiete bald erschöpft sein.“

Skipjack-Thunfisch mit Rute und Haken gefangen aus bestimmten Fanggebieten
Thunfische stehen außerdem am Ende der Nahrungskette. Dadurch reichern sich in ihnen im erhöhten Ausmaß Kadmium und Blei an. Das deutsche Umweltministerium empfahl Risikogruppen wie Schwangeren oder Stillenden daher erst im März 2015, den Thunfisch-Genuss zu vermeiden. Die Skipjack-Thunfischart ist jedoch in der Regel weniger belastet als größere Arten, die oft als Steak oder Sushi auf unseren Tellern landen. „Unsere Meere stehen unter massivem Druck – einerseits durch Überfischung, anderseits durch Verschmutzung aus unserer industriellen Produktion. Über die Nahrungskette vergiften wir uns schlussendlich selbst“, so Wildenberg.

ArbeiterInnen zahlen hunderte Euros, damit sie in Thunfisch-Fabriken arbeiten dürfen
Weiters wurden thailändische Thunfisch-Fabriken auf soziale Missstände untersucht. Häufig müssen ArbeiterInnen, die vor allem aus Myanmar einwandern, Rekrutierungsgebühren über hunderte Euros zahlen, um in den thailändischen Thunfisch-Fabriken arbeiten zu dürfen. „Die Anliegen der Wanderarbeiterinnen und -arbeiter werden kaum gehört. Die Beschwerdemechanismen und so genannte 'Arbeitskomitees' funktionieren nicht. Die Arbeitnehmerschaft kann mit den Vorgesetzten nicht über ihre Arbeitsbedingungen verhandeln“, sagt Stefan Grasgruber-Kerl, Projektleiter Supply Cha!nge bei Südwind.

Zwangsarbeit und Menschenhandel auf den schwimmenden Fischfabriken
Während sich jedoch laut einem früheren Finnwatch-Bericht die Arbeitsbedingungen – wie etwa die Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz - in den Fabriken an Land zumindest geringfügig verbessert haben, ist die Situation für die ArbeiterInnen auf den Schiffen immer noch menschenunwürdig.

„Auf den schwimmenden Fischfabriken gibt es nach wie vor Zwangsarbeit und Menschenhandel. Die EU hat zwar erste Schritte unternommen, um illegales und unreguliertes Fischen in Thailand zu verbieten, der jetzige Bericht zeigt aber auf, dass die Überprüfung der Zulieferkette gerade erst in der Anfangsphase ist und nicht flächendeckend durchgeführt wird“, erklärt Stefan Grasgruber-Kerl. „Die Thunfisch-Industrie muss Zwangsarbeit und Menschenhandel auf den Schiffen beenden, die Rekrutierungsgebühren verbieten und Beschwerdemechanismen verbessern. Zwangsarbeit, Menschenhandel und soziales Elend dürfen keinen Platz in Thunfisch-Dosen europäischer Supermärkte haben. Auch österreichische Supermärkte müssen hier klare Bestimmungen in ihre Verträge aufnehmen und mit ihren Auftragnehmern und lokalen Gewerkschaften zusammenarbeiten“, fordert Grasgruber-Kerl.

Um gegen diese Menschenrechtsverletzungen vorzugehen, braucht es Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Fabriken, den Vertriebsunternehmen, die deren Waren kaufen und den Organisationen, die die ArbeiterInnen angemessen vertreten. Generell ist noch mehr Transparenz und Sorgfalt im Lieferketten-Management von Seiten des Handels nötig, damit KonsumentInnen sich für einen bewussten Genuss entscheiden können, der weder Natur noch Menschen ausbeutet. Alternativen Fischgenuss bieten bio-zertifizierte Aquakulturen und Wildfang aus heimischen Gewässern.

Hintergrundinfos:

 

Rückfragen gerne an:

Global2000
Martin Wildenberg, martin.wildenberg[at]global2000.at, oder
Karin Nakhai,  karin.nakhai[at]global2000.at

Südwind:
Stefan Grasgruber-Kerl, stefan.grasgruber-kerl[at]suedwind.at